Während die etablierten Player im Gesundheitswesen aus nachvollziehbaren Gründen auf ihr eigenes Spielfeld schauen, war es die Zielsetzung dieses Experten-Roundtables der deutschen ict + medienakademie im Rahmen ihres Leuchtturm-Programms zu neuen Technologien über Vernetzung und ihre Möglichkeiten in Sachen Gesundheit nachdenken.

Klar ist, dass das Internet seit über 20 Jahren das Sinnbild der Vernetzung ist – keine Frage, Vernetzung gibt vielfältigen Sinn. Das eine im Vergleich zur Vergangenheit deutliche stärkere Vernetzung auch im Gesundheitsbereich viele Chancen auf Produktivitätsfortschritte und bessere Dienstleistungsqualität eröffnet, liegt auf der Hand:

  • Innovative Devices könnten dem Einzelnen mehr Informationen rund um seine Gesundheit geben,
  • Health Data Analytics könnte neue Aufschlüsse für Diagnose und Therapie bereitstellen,
  • Vernetzte Systeme und Geräte für Ältere, nennen wir es einmal Elderly Care, könnten diesem immer größer werdenden Teil der Gesellschaft neue Möglichkeiten geben, gesünder älter zu werden,
  • Digitalisierte Prozesse könnten spürbare Produktivitätseffekte haben und beachtliche gesamtwirtschaftliche Kosteneinsparungen generieren.

In der Diskussion, u.a. mit Experten der Boston Consulting Group, VDI/VDE, Fraunhofer, Medgate, AOK, m.doc, wurde darauf hingewiesen, dass 60% der Versicherten sich eine digitale Beratung durch ihre Krankenversicherung wünschen – die Krankenversicherer sollten sich zum Gesundheitsberater wandeln. In Zukunft werde die Patientenreise digital beginnen, und zwar für alle Altersgruppen, obwohl im Moment noch die Jüngeren mit der Nutzung vorn liegen (24% der 18-40Jährigen haben während der aktuellen Pandemie in Deutschland bereits Telemedizin genutzt, bei den Über-60Jährigen waren es nur 9%). Jedenfalls auf den ersten Blick, so scheint es, hält die Digitalisierung Einzug in das Gesundheitswesen.

Aber es trat auch erstaunliches zutage: Da wären zunächst die Divergenzen zwischen den politischen Claims zur Vernetzung im Gesundheitswesen, zur besseren Nutzung von Daten, der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, der digitalen Patientenakte oder des E-Rezepts einerseits und dem geringen Grad der Umsetzung dieser Ziele hierzulande andererseits. Dann ging es auch darum, wie weit denn die Technologieentwicklungen im Gesundheitsbereich tatsächlich sind, abseits aller politisch oder in den allgemeinen Medien unterstellten Ziele, was Geräte, Prozesse und Plattformen leisten können und was die Rahmenbedingungen überhaupt zulassen. Beispiel „Devices“:  Smart Watches wurden eine Zeitlang keine rosige Zukunft vorhergesagt, da doch jeder bereits eine oder mehrere digitale Uhren besäße. Inzwischen haben je nach Abgrenzung bis zu 30% der Bundesbürger mindestens ein für Zwecke der Gesundheit genutztes Gerät, wohlgemerkt ohne Smartphones.  Beispiel Telemedizin: Tele-Medizin wurde viele Jahre durch rechtliche Hürden ausgebremst und Röntgen- oder MRT-Bilder wurden und werden gerne immer wieder neu erstellt, anstatt geteilt zu werden. Beispiel Daten: Da könnten z.B. Genomdaten geteilt werden, um Krebserkrankungen in einem vertrauenswürdigen und sicheren Rahmen früher zu erkennen und zu heilen. Beispiel „Elderly Care“: Just im Zeitraum, in dem der Anteil der älteren Bevölkerung hierzulande spürbar zunimmt, stehen zahlreiche neue technologische Optionen wie Online-Sturz-Sensorik, Online-Türkontakte oder Online-Blutdruck-Messgeräte zur Verfügung, die im eigenen Zuhause eine bessere und dazu noch weitaus kostengünstigere Betreuung dieser größten deutschen Bevölkerungsgruppe zulassen. Da Rund-um-die-Uhr-Pflege lt. den deutschen Sozialverbänden kaum noch bezahlbar ist, ist das eigentlich eine Ideal-Konstellation zwischen Patienten-Wünschen und -Notwendigkeiten sowie technologischen Möglichkeiten, aber das Matching gelingt bisher nicht. Lt. Dr. Bettina Horster von der VIVAI AG in Dortmund verhindert nach wie vor geringe Technologie-Kompetenz der politischen Entscheider eine entsprechende Weichenstellung zugunsten aller Beteiligten.

Eindrücklich auch die Diskussion um telemedizinische Ansätze wie sie Medgate und das AOK Plus-Projekt Teledoc Plus aufzeigten. Lt. Medgate ist Deutschland bei der telemedizinischen Betreuung im europäischen Vergleich gegenwärtig hoffnungslos abgeschlagen. Inzwischen erreiche Telemedizin ein hohes Qualitätsniveau und sei einfach, menschlich und effizient. Und auch ein mit viel Pragmatismus aufgebautes Projekt der AOK wie Teledoc Plus, bei dem spezielle ausgebildete Nichtärztliche Praxisassistenten*innen einen Teil der Patientenbetreuung vor Ort in der Fläche übernehmen, zeige, dass die medizinische Betreuung auch bei uns besser und kostengünstiger gehen könnte.  Das sei auch der Fall bei den Prozessen zwischen Arzt, Krankenhaus, Reha und Patient. Für alle zeitraubenden und ökonomisch ineffizienten administrativen Prozesse stehen Plattformen wie m.doc zur Verfügung, die den händischen Aufwand in Sachen Administration drastisch reduzieren würden. Allerdings: Viele Aspekte zu Datenschutz und Datensicherheit seien noch nicht klar, u.a. Verschulden, Haftung oder Beweisumkehr. Und auch die Security sei noch lange nicht optimal gesichert: Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass bereits 38% der Befragten Opfer einer unsicheren mobilen E-Health-App geworden seien. Nachdenklich stimmte die abschließende Analyse von Prof. Dr. med. Katharina Larisch von der Europäischen FH Rhein/Erft. Trotz immer mehr Informationen über Gesundheit im Allgemeinen und die eigene Gesundheit im Besonderen durch Dr. Google, Plattformen verschiedenster Couleur und Apps nehmen Krankheiten, die durch Informationsdefizite geprägt sind wie z.B. Übergewicht und Adipositas weiter zu: Über die Hälfte der deutschen Bevölkerung bewege sich trotz der Fitness-Apps nicht ausreichend. Kein Wunder, dass eine AOK-Untersuchung zum Ergebnis käme, dass über die Hälfte der Deutschen nur über eine eingeschränkte digitale Gesundheitskompetenz verfüge, was die Vision, dass „Digital Health gesünder macht“, doch deutlich reduziere.

Ekkehart Gerlach, GIMI-Vorstandsmitglied